Theaterpremiere im Kupferdächle
Theater macht Ah!
Tempelherr rettet Nathans Tochter Foto: Faber
Die
Mittel- und Oberstufentheatergruppe des Hilda-Gymnasiums spielt
Lessings „Nathan der Weise“ aus dem Jahr 1778 und zeigt: Dieses
Stück ist aktueller denn je.
Wir
sehen die Welt von oben wie jener Astronaut im Videoclip von Sido, so
beginnt die Inszenierung von „Nathan der Weise“. Es gibt keine
Grenzen. Die von Menschen gemachten Grenzen, sowohl die auf den
Landkarten als auch die in Köpfen, gilt es zu überwinden. Damit ist
die Marschrichtung der Hilda-Premiere am 8. Juli 2016 im Kupferdächle
schon zu Beginn klar: Toleranz überwindet Grenzen. Begleitet von
Sidos Song kommt Nathan, leger und zeitlos in Anzug und Hut
gekleidet, von einer längeren Geschäftsreise nach Jerusalem zurück,
parkt die Kamele und entlädt seine kostbaren Waren, nur um vom
tüchtigen Kindermädchen Daja (Larissa Schweizer) zu erfahren, dass
seine Tochter Recha (Georgie Feil) in seiner Abwesenheit bei einem
Brand fast ums Leben gekommen wäre. Gerettet wurde sie von einem
mysteriösen Tempelherrn, also einem Angehörigen des christlichen
Ritterordens im Morgenland. Auf den Dank der schönen Recha und ihres
einflussreichen Vaters Nathan legt dieser aber keinen Wert. Der
Tempelherr haust in einem Zelt vor den Toren des Sultanspalasts,
quasi als politischer Häftling, abhängig von der Gnade des
muslimischen Herrschers, der ihm aufgrund seiner Ähnlichkeit mit
dessen Bruder gerade noch vom Todesurteil begnadigt hat. Schon sind
die knapp 100 Zuschauer im Pforzheimer Kupferdächle in der aktuellen
Weltpolitik gelandet, wo die einen in Zelten aufs Überleben hoffen
und die anderen sich um die Macht streiten. In „Nathan der Weise“
spielt Sultan Saladin gern unbekümmert mit seiner raffinierten
Schwester Sittah (Carlotta Strümper) eine Partie Schach, auf der
Bühne wunderbar erfrischend mit echten hüpfenden Springern und
aufgezogenen Bauern inszeniert.
Um
dem Retter seiner Tochter doch den gebührenden Dank zukommen zu
lassen, spricht der Jude Nathan beim Sultan vor. Dieser regiert das
multireligiöse Jerusalem, das zuvor schon mal von Juden und dann von
Christen beherrscht wurde. Nathan, der aufgrund seiner Klugheit der
Weise genannt wird, will auch herausfinden, ob der Retter seiner
adoptierten Tochter Recha in Wahrheit deren verschollener Bruder
Comrad sei. Dieser ist ebenfalls ein Christ, wie die Tochter des
Weisen, die der jüdische Kaufmann vor 18 Jahren als Waisenkind
angenommen hat, nachdem seine eigene Familie von religiösen
Fanatikern grausam ermordet worden war. Die Genealogie, also die
Abstammung der einzelnen Familienangehörigen, die, wie sich
herausstellt, alle irgendwie miteinander verwandt sind, wird von der
Theater AG des Hildas für den leicht überforderten Zuschauer
mittels origineller Zeichnungen, präsentiert von einem sehr
charmanten Nummerngirl (Valentina Markovic), im Stil einer
Wissenssendung für Kinder eingespielt.
Überhaupt
kein Kinderspiel ist dieses anspruchsvolle Stück für Schauspieler
einer Schülertheatergruppe. Nicht so für diese Truppe, die spielt
wie Profis, angeleitet von Silke Gaube und Jan Giebeler, die in
dieser Inszenierung rein gar nichts dem Zufall überlassen. Furios
peppen sie den schwierigen Text mit überraschenden Regieeinfällen
auf und machen so das politische und an unseren Verstand
appellierende Stück auch zu einem Vergnügen.
Eigentlich
wollte Nathan den Sultan mit einem Geldgeschenk davon überzeugen,
seinen Gefangenen, den Tempelherrn, freizulassen, stattdessen
konfrontiert ihn der Sultan mit der Frage nach der wahren Religion.
Sven Bettinga spielt den weisen Nathan, dem es gelingt, auf die
durchaus schwierige Frage im Dreireligionengebiet Jerusalem die
richtige Antwort zu finden: Du musst dich deines Gottes würdig
zeigen durch das rechte Leben. Diese Antwort demonstriert er dem
verunsicherten Sultan, lakonisch gespielt von Benjamin Rosbach, mit
einer eindrucksvollen pantomimischen Darstellung der berühmten
Ringparabel. Nun muss Nathan nur noch dem verliebten Tempelherrn, den
Fionn Schrauth zwischen Wut, Resignation und leidenschaftlichen
Gefühlen changierend gibt, und der schwelgenden Recha klarmachen,
dass sie Geschwister sind. Der in der Hilda-Inszenierung doppelköpfig
dargestellte Patriarch, die in einen roten Rock gezwängten Aline
Gengenbach und Valerie Penkowski, weiß auch keine Antwort auf
Nathans Frage, wie mit der verzwickten Situation, dass seine Tochter
in Wahrheit eine Christin ist, umzugehen ist. Der christliche
Patriarch verrät nur seine Doppelzüngigkeit, indem er bzw. sie
jedes Mal zusammenzuckt, wenn das Wort Jude erwähnt wird. Zum Glück
tritt da auch mal der Autor selbst, Gotthold Ephraim Lessing (Felix
Kleiser), mit rotem Künstlerschal in schwarzem Anzug auf und klärt
die Unwissenden souverän darüber auf, was es mit dem ganzen
Verwirrspiel auf sich hat: Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz,
damals wie heute, sind völlig fehl am Platz. Bedient euch lieber
eures Verstandes, so wie es die Aufklärung, die philosophische
Richtung des 18.Jahrhunderts, fordert.
Am
Ende schwört Menschenfamilie, die Juden, Christen und Muslime,
fortan in Frieden zu leben, weil sie etwas gelernt haben: „Das Blut
allein macht lange noch den Vater nicht“, wie der Sultan weise
erkennt. Eine schöne Schlussszene vor dem mit wenigen Mitteln, aber
großen Effekten zeit- und ortlos gestalteten Bühnenbild, umgesetzt
mit Unterstützung von Kunstlehrer Florian Adler. Die perfekt
eingespielten Ton-, Video- und Lichtsequenzen der Technikcrew zeigen,
dass bei dieser Theatergruppe alles stimmt. Wirklich alles, auch das
attraktive von Isabell Eppinger gestaltete Plakat.
Nach
einem sehr langen Applaus lobt Schulleiterin Edith Drescher
Schauspieler und Regie, denn die Komik müsse man im Text „Nathan
der Weise“ schon suchen, aber Bühnenpräsenz und Stimmgewalt der
Schauspieler, deren Talent schon im „Faust“ (2015) zu bewundern
war, sowie der Ansatz, einen Klassiker leicht, aber nie seicht zu
machen, harmonierten auf geniale Weise. Die Aktualität der Botschaft
des Stückes bleibt dabei keineswegs in den humorvollen, teilweise
ins Derbe neigenden Ideen hängen. Nur über eine Sache ist man als
Zuschauer am Ende traurig: Neun der dreizehn großartigen
Schauspieler verlassen mit dem Abi in der Tasche die Theatergruppe.
Mögen die weisen Regisseure auch darauf eine Antwort finden.
(Sonja Kinck)
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UNDERCOVER
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